Die unterschätzte Macht der B2B-Marken

Die unterschaetzte Macht der B2B Marken

Im Business-to-Business-Geschäft kurz B2B gelten Produkte, Preis und Performance oft als die alles entscheidenden Faktoren. Doch ein zentraler Erfolgshebel wird häufig übersehen: die Marke, besonders die B2B-Marken. Studien und Praxisbeispiele belegen zunehmend, dass Markenstärke im B2B-Kontext ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sein kann. In der Welt komplexer Ausschreibungen und langer Verkaufszyklen schaffen starke B2B-Marken etwas Unverzichtbares: Vertrauen. Sie geben Käufergruppen kollektive Zuversicht und mindern wahrgenommene Risiken bei großen Entscheidungen. B2B-Marken sind nicht nur Namen, sie sind Vertrauensanker. Ein weiterer Grund, warum B2B-Marken entscheidend sind: Sie helfen dabei, die Identität des Unternehmens zu formen und eine Bindung zu schaffen, die über den reinen Kauf hinausgeht.

Auch im B2B-Kaufprozess spielen weiche Faktoren eine Rolle. Neuere Untersuchungen zeigen, dass selbst im vermeintlich rationalen B2B-Entscheidungsprozess emotionale Aspekte wie Vertrauen und Sicherheitsgefühl den Ausschlag geben können.

Markenstärke als Schlüssel im B2B-Entscheidungsprozess

Die Auswahl einer B2B-Marke kann entscheidend sein, wenn es darum geht, langfristige Geschäftsbeziehungen aufzubauen. B2B-Entscheidungen werden selten von Einzelpersonen getroffen. Meist sind ganze Buying Centers oder Einkaufskomitees mit Fachentscheidern involviert, aber auch Finanz-, Rechts- oder Betriebsvertreter. Jeder bringt eigene Prioritäten und Sorgen ein. Hier entfaltet Markenstärke ihre besondere Macht: Sie bildet eine gemeinsame Vertrauensgrundlage für alle Beteiligten. Weil in B2B-Deals häufig viel auf dem Spiel steht, beispielsweise hohe Investitionen, langfristige Partnerschaften und Bindungen oder persönliches Ansehen, achten Entscheider besonders darauf, keine Fehlentscheidung zu treffen. „In B2B ist es wichtiger, Katastrophen zu vermeiden, als Perfektion zu erreichen“, beschreibt Marketing-Vordenker Rory Sutherland die Risikoaversion vieler Firmenkunden. Eine bekannte, starke Marke fungiert in diesem Umfeld als Sicherheitsnetz: Sie signalisiert Verlässlichkeit und mindert die Angst, einen folgenschweren Fehler zu begehen.

Diese Dynamik erklärt, warum eine starke Marke im B2B oftmals der entscheidende Faktor ist. Eine Analyse von Brand Finance formuliert es pointiert: Nicht zwingend das beste Produkt gewinnt den Zuschlag, sondern die Marke, bei der der Kauf am unbedenklichsten erscheint. Im Zweifel setzen B2B-Kunden lieber auf den Anbieter, der kollektiv das größte Vertrauen genießt, selbst wenn ein Wettbewerber technisch die Nase vorn haben mag. Markenstärke schafft jene kollektive Zuversicht, die nötig ist, damit der Einkauf oder das Buying Center mutig den Kauf beschließt. Die Sichtbarkeit von B2B-Marken ist entscheidend, um im Wettbewerb bestehen zu können.

Hidden Buyers: Die unsichtbaren Einflussnehmer

Ein Grund, warum Markenvertrauen so entscheidend ist: In B2B-Beschaffungsprozessen wirken sogenannte Hidden Buyers mit. Darunter versteht man Einflussnehmer aus Compliance, Einkauf, IT-Sicherheit oder der Rechtsabteilung, die am Ende ihr Veto einlegen können, ohne jemals an Vertriebsterminen teilgenommen zu haben. Diese verdeckten Entscheider treiben keinen technischen Vergleich wie die Fachabteilung, sondern stellen sicher, dass der gewählte Anbieter keine Risiken für das Unternehmen birgt. Studien zeigen, dass Hidden Buyers in komplexen B2B-Deals fast die Hälfte der Entscheidungsmacht halten. Ihr Einfluss ist enorm: Etwa 50 Prozent aller geplanten B2B-Käufe scheitern letztlich an einem internen Nein, nicht am Wettbewerber.

Warum torpedieren Hidden Buyers so oft Projekte? Weil unbekannte Marken in ihren Augen ein unkalkulierbares Risiko bedeuten. Tatsächlich sind 70 Prozent dieser Prozesshüter eher geneigt, einen Anbieter abzulehnen, der ihnen nicht bekannt ist. Innovationsgrad oder vermeintlich bessere Features des Produkts beeindrucken sie wenig: wichtiger sind verlässliche Namen, “Peace-of-Mind” und das Gefühl, dass der Anbieter auch bei Branchenkollegen einen guten Ruf genießt. Kurz: Hidden Buyers greifen zur sicheren Option und die ist fast immer der bekannteste Markenname im Spiel. Eine starke Marke fungiert hier wie eine Eintrittskarte ins Finale. Ist der Anbieter in der gesamten Käufergruppe bekannt und angesehen, laufen Kaufprozesse messbar reibungsloser und schneller ab.

Vertrauen als „Angstversicherung“ der Entscheider

Die wohl bekannteste Maxime, die all das auf den Punkt bringt, stammt aus der IT-Branche: „Nobody ever got fired for buying IBM“ oder „Niemand wird gefeuert, weil er IBM kauft.“ Dieses legendäre Bonmot, entstanden in den 1980ern, wirkt bis heute nach. Es steht sinnbildlich dafür, wie etablierte Marken Vertrauen spenden. IBM, Siemens, SAP & Co. verkaufen nicht nur Technologien, sondern vor allem Sicherheit. Eine starke B2B-Marke liefert Entscheidern sozusagen eine Angstversicherung: Sollte das Projekt scheitern, hat man zumindest auf einen renommierten Partner gesetzt, einen, den auch niemand im eigenen Management in Frage stellt. Der Markenname schützt die Verantwortlichen vor allzu viel Kritik. So hilft ein großer Name, mutige Entscheidungen überhaupt erst möglich zu machen. Vertrauen wirkt in B2B-Märkten also wie ein Schmiermittel: Es reduziert die Reibung im Entscheidungsprozess. Wenn alle Beteiligten das Logo auf dem Angebot wiedererkennen und positive Assoziationen dazu haben, sinkt die kollektive Nervosität. Selbst komplexe Deals fühlen sich dann für das Käuferteam weniger riskant an. So gesehen sind bekannte Marken im Meetingraum oft die heimlichen Mitentscheider, die unbewusst mit am Tisch sitzen.

Schwächelnde Marken scheitern an Unentschlossenheit

Bemerkenswert ist, dass schwächere B2B-Marken nicht primär an aggressiven Konkurrenten scheitern, sondern an der Unentschlossenheit potenzieller Kunden. Untersuchungen zeigen, dass über 40 Prozent aller B2B-Verkaufschancen im Sande verlaufen, weil das Käufergremium am Ende keinen Entschluss fasst. Die Angst vor einem Fehlkauf überwiegt dann den möglichen Vorteil eines Wechsels. Anstatt eine mutige Entscheidung für einen unbekannteren Anbieter zu treffen, bleibt man lieber beim Status quo. Dieses Phänomen der sogenannten „No Decision“ ist heute in vielen Branchen der größte Wachstumsblocker.

Starke Marken wirken dem entgegen. Sie geben dem Käufergremium den Mut zur Entscheidung. Wenn ein Anbieter im Markt als führend oder zumindest etabliert gilt, fühlen sich alle Entscheider wohler dabei, “Ja” zu sagen. Fehlt diese Vertrauensbasis, gewinnt am Ende oft die Entscheidung, nichts zu entscheiden. B2B-Marktexperten bringen es auf den Punkt: „In B2B gewinnt nicht zwingend das beste Produkt, sondern die vertrauenswürdigste Marke“, denn sie erzeugt die nötige Geschlossenheit im Buying Center. Es lohnt sich also, in Markenvertrauen zu investieren, um die Lähmungsgefahr durch Unentschlossenheit zu verringern.

Markenstärke beschleunigt Geschäftsabschlüsse

Eine starke B2B-Marke zahlt direkt auf den Vertriebserfolg ein. Sie verkürzt nicht nur Sales-Zyklen, sondern vergrößert oft auch das Auftragsvolumen. Wenn ein Käuferteam einem Anbieter voll vertraut, werden Entscheidungen schneller getroffen und Budgets eher freigegeben. Untersuchungen belegen, dass bekannte Anbieter in Ausschreibungen tendenziell höhere Auftragswerte erzielen, schlicht weil sie weniger internen Vorbehalten ausgesetzt sind. Darüber hinaus räumen Einkauf und Compliance einer bekannten Marke weniger Hürden in den Weg. Viele formale Prüfungen fallen milder aus, da der Name bereits für Seriosität bürgt. Diese Vorteile summieren sich: Kunden bleiben treu und weiten bei zufriedenstellender Leistung die Geschäftsbeziehung eher aus, wodurch der Customer Lifetime Value steigt.

Kein Wunder also, dass sich in zahlreichen B2B-Branchen die Märkte stark auf wenige Markenführer konzentrieren. In manchen Technologiesektoren vereinen die Top-3-Anbieter über zwei Drittel des Marktvolumens auf sich. Markenvertrauen erzeugt einen selbstverstärkenden Vorsprung: Wer als sichere Wahl gilt, gewinnt überproportional viele Deals, was wiederum die Präsenz und Reputation weiter steigert. Kleinere Wettbewerber haben es entsprechend schwer, aus eigener Kraft in diese Liga vorzustoßen, solange sie im Markt nicht ähnlich vertrauenswürdige Markenbilder aufbauen.

Rebranding als strategischer Wachstumstreiber

Gerade für B2B-Unternehmen jenseits der Marktführerschaft kann es daher äußerst lohnend sein, ihre Marke strategisch aufzuladen – sei es durch gezieltes Rebranding, Modernisierung des Markenauftritts oder eine geschärfte Positionierung. Eine Marke ist weit mehr als nur Logo und Farbe: Sie stiftet Identität, sie formt Communities und sie verankert ein Unternehmen kulturell in seiner Branche. Ein Rebranding sollte deshalb nicht als Kostenfaktor, sondern als Investition gesehen werden, die künftiges Wachstum antreibt. Steve Forbes, der Chef des Forbes-Magazins, brachte es einmal so auf den Punkt: „Your brand is the single most important investment you can make in your business“ – die Marke ist die wichtigste Investition in Ihr Unternehmen.

Doch worauf kommt es konkret an, wenn man seine B2B-Marke neu ausrichten will? In aktuellen Studien werden drei Hebel hervorgehoben, wie Herausforderer ihre Markenstärke gezielt steigern können:

3 Hebel die Markenstärke zu steigern

  • Community-Aufbau: Erfolgreiche B2B-Marken schaffen Communities aus Kunden, Experten und Partnern. Solche Netzwerke liefern wechselseitig Social Proof, also den Nachweis, dass man mit dem Anbieter auf der sicheren Seite ist. Eine lebendige Community aus Fürsprechern stärkt das Markenvertrauen im Markt deutlich.
  • Kulturelle Relevanz: Starke Marken beweisen ein tiefes Verständnis für das Geschäftsumfeld ihrer Zielkunden. Wer die Sprache der Branche spricht, Trends aufgreift und echte Thought Leadership zeigt, wird als kulturell relevanter Partner wahrgenommen. Dieses Gespür für den Kontext macht eine Marke zum “No-Brainer” – zur naheliegenden Wahl, mit der man gerne zusammenarbeitet.
  • Prägnante visuelle Identität: Von Logo über Design bis Storytelling: Erfolgreiche Rebrands setzen auf unverwechselbare visuelle Assets und eine klare Botschaft. Eine eigenständige, moderne Markenidentität erhöht die Wiedererkennbarkeit und signalisiert Selbstbewusstsein. Sie vermittelt auf den ersten Blick ein Versprechen an den Kunden, das im besten Fall beim gesamten Buying Center positiv anklingt.

All diese Investitionen zahlen auf ein Ziel ein: eine geteilte Vertrautheit mit der Marke zu schaffen, die über alle Entscheidungsträger hinweg reicht. Gelingt dies, sinkt die Risikoaversion dramatisch und viele der im B2B typischen Kaufbarrieren lösen sich quasi nebenbei auf.

Fazit: Marke neu denken, Wachstum neu entfachen


Für etablierte B2B-Unternehmen in Tech und Industrie lohnt sich ein frischer Blick auf das Thema Marke. Die Beispiele und Erkenntnisse zeigen klar, dass Markenstärke kein „weicher“ Imagefaktor, sondern ein harter Erfolgsfaktor ist. Sie entscheidet mit darüber, ob aus Interessenten Kunden werden, ob Deals zustande kommen und wie schnell. In einer Welt, in der Produkte immer austauschbarer und Märkte immer transparenter werden, bietet die eigene Marke vielleicht das letzte große Differenzierungspotenzial.

Starke B2B-Marken geben Orientierung, spenden Vertrauen und bieten den Kunden eine Art Sicherheitspuffer, die richtige Entscheidung zu treffen. Sie fungieren als strategische Wachstumstreiber, die Vertrieb und Marketing auf ein neues Niveau heben können. Es ist an der Zeit, die Macht der Marke nicht länger zu unterschätzen und sie ganz bewusst zu nutzen. Denn eines steht fest: Ein Investment in die Marke ist letztlich immer ein Investment in das zukünftige Wachstum des Unternehmens.

Quellen:
• Matt Dixon und Ted McKenna, The Jolt Effect.
• Brand Finance, Brand Value in B2B.
• Rory Sutherland, Alchemy: The Dark Art and Curious Science of Creating Magic in Brands, Business, and Life.
• Steve Forbes, Your Brand as a Business Asset.

 

Picture of Nathalie Bureick
Nathalie ist Gründerin der Brand Ivy und Autorin zahlreicher Fachbeiträge und Blogartikel u. a. für die CHIP, P. M., JTL und Gesund.